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Ärztlicher Dienst

Das Garmischer Therapiekonzept

Das Besondere am Garmischer-Therapiekonzept ist die ganzheitliche Behandlung kindlich rheumatischer Erkrankungen durch die intensive und abgestimmte Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen (multiprofessionelles Team). Ärztlicher Dienst, Pflege, Physio- und Ergotherapie, der Psychologische- und der Sozialdienst, sowie die klinikeigene Schule arbeiten eng zusammen. Das erfordert gute Absprache und Koordination.

Prof. Dr. med. Johannes-Peter Haas
Ärztlicher Direktor, Geschäftsführer
Kontakt Chefarzt-Sekretariat
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Ärztliche Diagnostik und Therapie

 

Innerhalb des Therapiekonzeptes sind die Aufgaben des ärztlichen Dienstes:

1 Diagnostik

Rheumatische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter umfassen eine Vielzahl von Erkrankungsbildern, die unterschiedliche Ursachen haben können. Insgesamt gehen wir von ca. 22.000 bis 25.000 betroffenen Kindern und Jugendlichen in der BRD aus. Neue Therapien und diagnostische Möglichkeiten haben das kinderrheumatologische Behandlungsspektrum enorm erweitert. Die Diagnostik und Therapieplanung benötigen jedoch besondere Erfahrung. Gerade Kollagenosen, Vaskulitiden und die seltenen genetischen Immunstörungen sind anfangs häufig nur schwer zu erkennen. Aufgrund der Seltenheit dieser Erkrankungen haben nur wenige Zentren Erfahrung in der Therapieplanung.

Als Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) wird eine Arthritis mit einer Dauer von mehr als 6 Wochen bezeichnet, wenn: (i) sie vor dem vollendeten 16. Lebensjahr erstmalig auftritt und (ii) keine anderen Ursachen gefunden werden können. Der Verlauf der Erkrankung ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Die Folgen der Arthritis für die betroffenen Gelenke und die umliegenden Strukturen können unmittelbar, jedoch auch langfristig auftreten. Auch außerhalb der Gelenke (vor allem am Auge) kann die Erkrankung auftreten. Je nach Befallsmuster werden verschiedene Kategorien: Systemische JIA, persistierende oligoartikuläre JIA, extended oligoartikuläre JIA, Rheumafaktor-negative polyartikuläre JIA, Rheumafaktor-positive polyartikuläre JIA, Enthesitis assoziierte Arthritis, juvenile Psoriasisarthritis und undifferenzierte Formen unterschieden.

Die Kollagenosen umfassen eine Gruppe sehr verschiedenartiger Erkrankungen wie den z.B. den juveniler Systemischer Lupus erythematodes [jSLE], die juvenile Dermatomyositis [jDM] und die Sklerosen. Die meisten Kollagenosen sind im Kindes- und Jugendalter extrem selten. Der Beginn der Erkrankung kann akut oder schleichend sein. Das macht die Diagnostik manchmal schwer. Mit wenigen Ausnahme sind alle anderen Kollagenosen als Systemerkrankungen aufzufassen, die potentiell Organschäden verursachen und sogar lebensbedrohliche Verläufe haben können. 

Vaskulitiden, d.h. Erkrankungen, die durch einen entzündlichen Prozess an den Gefäßen vermittelt werden, sind bei Kindern und Jugendlichen deutlich seltener als bei Erwachsenen. Nach der Größe der betroffenen Gefäße werden verschiedene Erkrankungen wie die juvenile Takayasu Arteriitis (jTA), das, Kawasaki Syndrom (KS), die juvenile Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher Morbus Wegener) und andere unterschieden. Erst seit kurzem bekannt sind erblich bedingte Formen einer Vaskulitis, wie die Deficiency of adenosine deaminase 2 (DADA2), STING-associated vasculitis of infancy (SAVI) und die Haploinsuffizienz A20 (HA20). Hier findet sich ein fließender Übergang zu den Interferonopathien, einer Gruppe seltener erblicher Erkrankungen. Vaskulitiden und erblkiche Erkrankungen des Immunsystems erfordern als Multiorganerkrankungen immer ein multidisziplinäres Versorgungskonzept. 

Autoinflammatorische Erkrankungen: Wiederkehrendes Fieber ohne erkennbare Ursache sollte zur Abklärung eines periodischen Fiebersyndroms führen. Diese bezeichnen wir heute als „autoinflammatorische“ Erkrankungen (autoinflammatory disease = AID) des Kindes- und Jugendalters. Sie sind extrem selten und benötigen besondere Erfahrung bei der Erkennung und Behandlung. Wichtigster Vertreter ist das familiäre Mittelmeerfieber (FMF), das inzwischen auch in Mitteleuropa häufiger wird.

2 Medikamentöse Therapie

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Diese Medikamente wirken schmerzlindern, entzündungshemmend und fiebersenkend. Zu den NSAR gehören z.B. Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen und Indomethacin. Die sog. COX II-Hemmer wie Celebrex, Arcoxia und andere sind für Kinder nicht zugelassen und sollten deshalb nur in Ausnahmefällen angewandt werden. Unerwünschte Wirkungen der NSAR können Beschwerden im Magendarmbereich, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Verhaltensänderungen sein.

Basismedikamente
Wenn die rheumatische Entzündung durch NSAR nicht zur Ruhe gebracht werden kann, sind sogenannte Basismedikamente erforderlich (englisch: disease modyfying antirheumatic drugs – DMARD). Die sogenannten chemischen erkrankungsbeeinflussenden antirheumatischen Arzneimittel (engl. chemical disease modifying antirheumatic drugs = cDMARDs) wirken regulierend auf das Immunsystem, welches ursächlich für die Entstehung der rheumatischen Erkrankung verantwortlich ist. Basismedikamente benötigen Wochen oder gar Monate bis ihre Wirkung zum Tragen kommt. Zu den cDMARD zählen: Antimalariamittel Chloroquin (Resochin) bzw. Hydroxychloroquin (Quensyl), Sulfasalazin (Azulfidine) Methotrexat (MTX), Azathioprin (Imurek), Ciclosporin A (Sandimmun, Immunosporin), Leflunomid (Arava) und Mycophenolsäure (CellCept, Myfortic).

Methotrexat ist das Standardmedikament in der Kinderrheumatologie und wird seit über 30 Jahren erfolgreich eingesetzt. Auch bei bestimmten Kollagenosen und Vaskulitiden haben einige cDMARDs eine gute Wirkung. Gegebenenfalls können cDMARDs auch miteinander kombiniert werden. Der Einsatz von cDMARDs bei Kindern erfordert besondere Erfahrung, um unerwünschte Arzneimittelwirkungen rechtzeitig zu erkennen.

Biologika
Man bezeichnet diese Medikamentengruppe auch als bDMARD. Es handelt sich um Medikamente, die sich gezielt gegen körpereigene Signalstoffe oder Signalübertragungsstrukturen des Immunsystems richten und so Vorgänge beeinflussen, welche ursächlich an der rheumatischen Erkrankung beteiligt sind. Biologika sind komplexe Eiweismoleküle, häufig Antikörper, die von gentechnisch veränderten Zellen, d.h. biologisch hergestellt werden. Die Herstellung ist sehr aufwändig, weshalb die Präparate zumeist sehr teuer sind. Neben den Orginalpräparaten kommen mittlerweile weitgehend identische Nachbauten (sog. „Biosimilars“) zum Einsatz, die genauso wirksam und verträglich, häufig jedoch, deutlich kostengünstiger sind. Einige wichtige bDMARDs sind: die TNFalpha-Blocker Etanercept, Adalimumab, Golimumab und Infliximab. Weitere bDMARDs wie Abatacept, Tocilizumab, Anakinra, Canakinumab, Secukinumab und Ustekinumab erkennen andere Zielstrukturen. Weitere bDMARD sind teilweise bereits auf dem Markt bzw. in den nächsten Jahren zu erwarten. Die Zulassungen dieser Therapien für Kinder mit Arthritis sind abhängig von größeren internationalen Studien. Bei (noch) nicht zugelassenen Medikamenten muss ein Antrag an die Krankenkasse für die Kostenübernahme gestellt werden. Dies übernimmt bei Einstellungen in unserem Haus der behandelnde Arzt. 

Die bDMARD haben die Behandelbarkeit kindlicher Rheumaerkrankungen deutlich verbessert, bei den autoinflammtorischen Erkrankungen (siehe oben) überhaupt erst möglich gemacht. Die meisten bDMARD sind insgesamt gut verträglich jedoch können eine erhöhte Infektanfälligkeit, Blutbild und Leberwertveränderungen auftreten. 

Neue orale Medikamente
Als sogenannte zielgerichtete synthetische (ts)DMARDs wird eine neue Gruppe von Medikamenten gerechnet, die intrazelluläre Signalwege des Immunsystems über die sogenannten „Janus-Kinasen“ (Januskinaseinhibitoren, z.B. Tofazitinib, Baricitinib) blockieren. Bei vielen bDMARD und den tsDMARD fehlen uns bislang Langzeitdaten zur Medikamentensicherheit. Eine sorgfältige Indikationsstellung und genaue Überwachung der Therapie ist deshalb dringend erforderlich.

Kortisonpräparate
Kortison ist ein stark entzündungshemmendes Medikament mit Sofortwirkung. Es kann deshalb für Notfälle eingesetzt werden wie starke Gelenkschmerzen, schwere Augenentzündung oder bedrohliche Herzbeteiligung. Bei Anwendung von höheren Dosen (> 0,2mg/kg Körpergewicht Prednison täglich) über ein paar Tage gibt es relativ wenige Nebenwirkungen. Beim Einsatz über längere Zeit drohen schwere Nebenwirkungen wie Kleinwuchs, Veränderung der Körperproportionen (Cushing), Osteoporose, Bluthochdruck und viele andere. Kortison sollte deshalb bei rheumakranken Kindern nur kurzfristig eingesetzt werden bzw. bevorzugt lokal an Gelenken oder Augen zur Anwendung kommen. 

Lokale Kortisoninjektionen
Wenn nur wenige Gelenke betroffen sind, oder bei Polyarthritis einzelne Gelenke im Vordergrund stehen, kann die Einspritzung von Gelenken (intraartikuläre Injektion) mit Kortison rasche Besserung bringen. Auch in entzündete Sehnenscheiden oder Sehnenansätze kann Kortison injiziert werden. Selbstverständlich erhalten die Kinder für den Eingriff eine ausreichende Sedierung (medikamentöse Kurznarkose). Wichtig ist eine konsequente Nachbehandlung mit zunächst Entlastung und dann fachgerechter krankengymnastischer Behandlung des injizierten Gelenkes etwa 1 Woche um die Gelenkfunktion wiederherzustellen.

3. Kommunikation mit zuweisenden und mitbehandelnden Ärzt*innen

Unsere Patient*innen kommen aus dem gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus. Sie nehmen oft eine weite Anreise auf sich. Uns ist daher die Zusammenarbeit mit den mitbehandelnden Ärzt*innen und Therapeut*innen am Wohnort ein besonderes Anliegen. Die Therapie, notwendige Kontrollen und das weitere Vorgehen können so gut miteinander abgestimmt werden. Viele kinderrheumatolgische Kontrolluntersuchungen können dann wohnortnahe durchgeführt werden und die Patient*innen müssen nicht jedes Mal den z.T. weiten Weg an das Deutsche Zentrum für Kinder und Jugendrheumatologie machen.

4. Koordination der Therapie

Die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten 25 Jahren dramatisch verbessert. Eine rheumatische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen ist jedoch mehr als eine Entzündung. Sie hat erhebliche Auswirkungen auf die Beweglichkeit, Stimmung und Entwicklung der Patient*innen. Daher ist eine gute Zusammenarbeit mit Expert*innen aus den Bereichen Pflege, Physiotherapie, Sozialdienst, Psychologischer Dienst und unserer Klinikschule erforderlich. Dies findet sich im Garmischer Therapiekonzept verwirklicht.