Behandlungsspektrum chronischer Schmerz
Chronische Schmerzen
Unter chronischen Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen versteht man Schmerzen, die länger als drei Monate anhalten.
Chronische Schmerzen treten bei Kindern und Jugendlichen zunehmend häufiger auf. Mittlerweile ist schätzungsweise jedes vierte Kind in Deutschland betroffen. Jedes zwanzigste leidet extrem stark unter den immer wiederkehrenden Schmerzen. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Die Betroffenen berichten vorwiegend von Kopf- und Bauchschmerzen und Schmerzen am Bewegungsapparat (Muskeln und Gelenke, sogenannte muskuloskelettale Schmerzen).
Die Schmerzen beeinträchtigen den Alltag oft erheblich und führen zu zahlreichen Arztbesuchen, Untersuchungen und Behandlungen und sind durch Medikamente üblicherweise kaum bis nicht zu beeinflussen.
Schmerzstörung
Als Schmerzstörung bezeichnet man Störungen im Schmerzverarbeitungssystem. Obwohl der ursprüngliche Auslöser nicht (mehr) bzw. nicht ausreichend vorhanden ist, bestehen langanhaltende und/oder wiederkehrende Schmerzen. Der Schmerz hat seine ursprüngliche Form als Warn- und Alarmsignal verloren und hat sich verselbständigt. Dabei können alle Körperbereiche wie Kopf, Bauch und der Bewegungsapparat betroffen sein.
Der hohe Krankheitswert für die Betroffenen besteht durch meist ausgeprägte Beeinträchtigungen des täglichen Lebens mit Aufgabe von sportlicher Aktivität und Hobbys, Schulfehlzeiten, Rückzug und dem Verlust sozialer Kontakte. Für die Familien wird der Schmerz oft zum zentralen Element des Familienlebens.
Bei der Entstehung einer Schmerzstörung ist meist nicht ein ursächlicher Faktor auszumachen, sondern körperliche, psychische und soziokulturelle Aspekte spielen eine Rolle und greifen ineinander. Einige Beispiele hierfür sind:
Biologische und körperliche Faktoren: körperliche Grunderkrankung, vorangegangene Schmerzerfahrungen, erniedrigte Schmerzschwelle, vermehrte sportliche Aktivität im Vorfeld.
Psychische Faktoren: schmerzbezogene Ängste, der persönliche Umgang mit Schmerzen, Stress, Traumatisierungen.
Soziokulturelle Rahmenbedingungen: schmerzbezogenes Elternverhalten, Geschlechterrolle, gesellschaftliche Einstellungen, soziale Interaktionen im Umgang mit Schmerzen.
Schmerz & Fatigue
Chronische Schmerzen und eine ausgeprägte Erschöpfung und Erschöpfbarkeit (Fatigue) gehen häufig Hand in Hand. Fatigue kann die Schmerzwahrnehmung verstärken, zugleich „entzieht“ der Schmerz dem Körper Energie. Üblicherweise ist es bei anhaltenden, chronifizierten Schmerzen sinnvoll, sich zu aktivieren. Bei einigen Patient*innen jedoch führt eine Aktivierung zu einer Verstärkung verschiedener Symptome wie Schmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Konzentrationsstörungen und mehr. Nicht alle Patient*innen, die diese Symptomatik aufweisen, erfüllen die Kriterien eines chronischen Fatiguesyndroms (ME/CFS), welches als mögliche Folge einer Corona-Erkrankung in den letzten Jahren vermehrt Beachtung findet. Fatigue an sich ist wie der Schmerz ein Alarm- und Warnsignal für den Körper und kann bei verschiedensten körperlichen und emotionalen Erkrankungen auftreten. Fatigue führt üblicherweise dazu, dass man sich ausruht, Menschenmengen und damit potenzielle Krankheitserreger meidet und dem Körper allgemein die Möglichkeit bietet, sich auszukurieren. Hält der Zustand der Fatigue jedoch über den üblichen Genesungsprozess hinaus an, gilt es, sich näher mit der Symptomatik zu befassen (Schmerz- und Fatiguetherapie bei Kindern und Jugendlichen: SHARK).
CRPS
Ein komplexes regionales Schmerzsyndrom kann mit oder ohne vorausgehende Verletzung auftreten und ist gekennzeichnet durch einen sehr starken Schmerz. Am häufigsten sind Hände oder Füße betroffen. Die Erkrankung geht mit sicht- und spürbaren Veränderungen im betroffenen Bereich einher (Schwellung, Kühle oder Wärme, Verfärbung, verändertes Haar- oder Nagelwachstum, Schmerzen bei Berührung, Gefühlsstörungen). Teilweise verändert sich der eigene Bezug zum betroffenen Körperteil, so dass beispielsweise die Position oder das Aussehen verzerrt wahrgenommen werden oder der Bereich als nicht zugehörig empfunden wird. Die betroffene Extremität wird erheblich geschont - oft in einer Fehlhaltung – und die Ausführung selbst kleiner Bewegungen ist gestört.
Hier finden Sie den Erklärfilm zur Behandlung des CRPS bei Kindern und Jugendlichen
Kopfschmerzen
In den letzten 30 Jahren hat die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern deutlich zugenommen. Die Ursachen sind vielfältig wie beispielsweise weniger Bewegung, weniger Zeit zum freien Spielen, geringere Tagesstrukturierung und vermehrter Medienkonsum. Es gibt zahlreiche Kopfschmerzformen, wobei man bei Kindern vor allem die Migräne mit oder ohne Aura und Kopfschmerzen vom Spannungstyp sowie Mischformen (Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp) unterscheidet. Bei jungen Kindern kann die Unterscheidung der Kopfschmerzform schwierig sein. Im Rahmen der Kopfschmerzbehandlung mit Schmerzmedikamenten kann sich zudem im Verlauf ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz entwickeln.
Migräne
Migräne kann bereits bei Kleinkindern auftreten. Typisch sind sehr starke Kopfschmerzen, welche beidseitig oder einseitig vorhanden sind und oft als stechend oder pochend beschrieben werden. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen müssen oft ihre üblichen Aktivitäten aufhören oder können sie nur sehr eingeschränkt fortführen. Bei Kindern sind Übelkeit und Erbrechen sehr häufige Begleitsymptome, aber auch Überempfindlichkeit für Licht und/oder Lärm, Überempfindlichkeit für verschiedene Gerüche, Schwindel und Bauchschmerzen können auftreten. Häufig geben die betroffenen Kinder und Jugendlichen an, dass Treppensteigen, Rennen, Kopfbewegungen oder Berühren der Haare die Kopfschmerzen verstärkt. Sie ziehen sich in einen abgedunkelten Raum zurück und versuchen zu schlafen. Die Migräne-Kopfschmerzen können eine Stunde bis zu 3 Tage anhalten.
Bei etwa 25% der Kinder und Jugendlichen mit Migräne tritt eine Aura-Symptomatik auf. Darunter versteht man z. B. Sehstörungen (Lichtblitze, Zackenlinien, Flimmerskotome), einseitige Missempfindungen (Kribbeln, Taubheit), Sprachstörungen, Lähmungen und Wahrnehmungsstörungen (sie nehmen sich oder die Umwelt sehr klein oder sehr groß, ganz lang und dünn oder ganz dick wahr). Diese Beschwerden klingen nach ca. 5-60 Minuten ohne Folgen ab, die starken Kopfschmerzen setzen dann während der Aura oder im Anschluss an sie ein.
Spannungskopfschmerz
Am häufigsten treten im Kindes- und Jugendalter Kopfschmerzen vom Spannungstyp auf. Die Kopfschmerzen sind von leichter bis mittlerer Intensität und häufig beidseitig im Bereich der Stirn und Schläfen lokalisiert. Häufige Auslöser sind Stress, Anspannung und mangelnde körperliche Bewegung. Einfache körperliche Belastungen verstärken die Kopfschmerzen in der Regel nicht und die betroffenen Kinder und Jugendlichen können ihre üblichen Aktivitäten (eingeschränkt) fortführen.
Bauchschmerzen
Bauchschmerzen sind im Kindesalter ein sehr häufiges Symptom. Nehmen sie an Häufigkeit zu und schränken die Kinder und Jugendlichen in ihrem Alltag ein, sollte eine ausführliche Organabklärung bei Kinderärzt*innen erfolgen. Können Kinderärzt*innen keine körperliche Erklärung dafür finden, spricht man von „funktionellen Bauchschmerzen“.
Der Darm hat ein eigenes Nervensystem und ist daher ein sehr empfindsames Organ. Viele Faktoren beeinflussen die Darmfunktion, wie z. B. Stress, Angst, Stimmung, Ernährung etc. Dadurch kann die Motilität (die aktive Bewegungsfähigkeit) des Darms gestört werden, was zu Schmerzen führt. Durch eine zusätzliche Sensibilisierung des Schmerzsystems kann es im Verlauf zu einer Senkung der Schmerzschwelle auf Dehnungsreize des Darms kommen, was die Bauchschmerzen verstärkt. Häufig entwickelt sich im Rahmen der Schmerzen auch eine erhöhte Muskelanspannung der Bauchmuskulatur, was wiederum eine Zunahme der Bauchschmerzen bewirkt; Bauchschmerzen und Muskelanspannung verstärken sich gegenseitig negativ.
Dysmenorrhö
Dysmenorrhö ist eine Erkrankung, die durch starke Schmerzen und Krämpfe im Unterbauch während der Menstruation gekennzeichnet ist. Die Schmerzen sind meist krampfartig und reichen von leichten Beschwerden bis zu starken, beeinträchtigenden Schmerzen. Sie treten normalerweise zu Beginn und während der Menstruation auf und können den Alltag, die Sexualität und das emotionale Befinden erheblich negativ beeinflussen.
PANTHER: Garmisch-Partenkirchner Schmerztherapie bei Dysmenorrhö
Bewegungsapparat/Muskuloskelettal
Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat (muskuloskelettal) klagen häufig über Gelenk- und Muskelschmerzen. Betroffen sein können alle großen und kleinen Gelenke sowie die Muskulatur, insbesondere im Bereich von Rücken, Armen und Beinen. Im Verlauf besteht die Gefahr, dass es zu Schon- und Fehlhaltungen kommt, welche wiederum Schmerzen hervorrufen.